Dieser Beitrag wurde als Gastbeitrag von Tom Kewald verfasst. Wir halten sein Anliegen für sehr wichtig und möchten ihm daher an dieser Stelle die Möglichkeit geben, seine Argumente zu veröffentlichen.
Wählen ist ein Grundrecht und eines der wichtigsten Güter unserer Demokratie. Dennoch wird es über 100.000 16- und 17-Jährigen in Hessen und schätzungsweise über 1.000 jungen Menschen in Marburg verwehrt. Beim Wahlrecht geht es um Mitbestimmung über die eigene Zukunft und die gesamtgesellschaftlichen Entwicklung, um Partizipation am demokratischen Prozess und um Legitimation von Entscheidungsträgern. Genau deshalb sieht das Bundesverfassungsgericht das Wahlrecht als wichtiges Gut, welches nur unter bestimmten Gegebenheiten und vor allem mit einer guten Begründung beschnitten werden darf. Das bedeutet, dass der Gesetzgeber in der Pflicht ist, den Ausschluss von 16- und 17-Jährigen von Wahlen zu rechtfertigen und nicht jungen Menschen erklären müssen, wieso ihnen das Recht zugesprochen werden soll. Gegenwärtig ist aber genau das Gegenteil der Fall.
Seitens des Gesetzgebers wird mit formalen Konstrukten wie der Volljährigkeit argumentiert. Zudem müsse man bei einer Herabsenkung des Wahlalters auch das Strafrecht ändern und grundsätzlich sei das Wahlrecht ab 18 ein gesellschaftlicher Konsens, der nicht verändert werden müsse. Zwischen den Zeilen schwingt deutlich mit, dass man 16- und 17-Jährige schlichtweg für unreif hält. Diese Argumente sind allerdings alles andere als stichhaltig. Man kann sicherlich über die Volljährigkeit oder das Strafrecht diskutieren, es hat nur nichts mit dem Absprechen eines wichtigen Grundrechts zu tun. Hier muss man konkrete Punkte anführen, wieso ein 16- oder 17-Jähriger nicht am demokratischen Prozess teilhaben darf, Vergleiche mit anderen Regelungen, bei denen ebenfalls das Alter einen Einfluss hat, bringen die Debatte nicht voran. Im Übrigen lagen 1970 Volljährigkeit und Wahlalter bei der Herabsenkung des Wahlalters auf 18 ebenfalls auseinander, weshalb das Argument in sich bereits widersprüchlich ist.
Die weitere Begründung, bezogen auf den gesellschaftlichen Konsens, ist ebenso inkonsistent. Abgesehen davon, dass Argumente, welche ausschließlich auf der Aussage „Das war schon immer so“ beruhen, keine ernsthaften sind, ist die These selbst stark anzuzweifeln. Es bleibt natürlich offen, an was der gesellschaftlicher Konsens festgemacht wird. Nimmt man die Sitzverteilung im Bundestag, gäbe es eine Mehrheit für das Wahlrecht ab 16, im hessischen Landtag ebenso. In beiden Fällen scheitert eine Reform ausschließlich an der CDU. Alle anderen Parteien positionieren sich deutlich für das Wahlrecht ab 16 mit Ausnahme der AfD, welche jedoch keinen Einfluss auf eine Änderung nehmen könnte, wenn die CDU einlenkt. Außerhalb der oben angeführten Argumente entsteht der Eindruck, die CDU möchte eine Herabsenkung des Wahlalters auch aus eigenem Interesse verhindern, da sie in jüngeren Altersgruppen deutlich schlechter abschneiden als bei älteren Menschen. Der Eindruck wird umso stärker, wenn man Aussagen wie „Ihr seid einfach die besten Wahlhelfer für die Grünen, die man sich denken kann!!!“ (bezogen auf den Beschluss der FDP, sich für ein Wahlrecht ab 16 einzusetzen) von Unionsabgeordneten liest. In diesem Fall war es niemand geringeres als der Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier via Twitter. Ein solcher Satz ist nicht nur unsachlich, sondern zeugt von einem sehr fragwürdigen Demokratieverständnis.
Der einzige ernsthafte Einwand gegen das Wahlrecht ab 16 könnte die, laut Kritikern fehlende, Reife sein. Dem widersprechen allerdings zahlreiche Studien, die 16- und 17- Jährigen die nötige Reife und politische Kompetenz, um eine fundierte Wahlentscheidung treffen zu können, zusprechen. Diese Ergebnisse lassen sich auch in der Realität einfach belegen. Zunächst einmal kann man sich den Schulunterricht anschauen. Der Auftrag der Schule ist unter anderem die Ausbildung von mündigen Bürgern, welche dann eben an Wahlen teilnehmen können. Diesem Auftrag wird die Schule in vielen Facetten gerecht. Man schaue sich beispielsweise die Inhalte der Fächer Politik- und Wirtschaft, Deutsch, Ethik oder Geschichte an. Wahlen werden sogar explizit im Politik- und Wirtschaftsunterricht behandelt und konkrete Positionen der Parteien verglichen. Jugendliche wären also bestens auf das Treffen einer fundierten Wahlentscheidung vorbereitet. Auch außerhalb der Schule können sie an politischen Meinungsbildungsprozessen teilhaben und tun dies auch. Über das Internet kann man heute so unkompliziert wie noch nie an Informationen gelangen und verschiedene Ansichten kennenlernen. Zudem engagieren sich viele junge Menschen bei Parteien, Jugendorganisationen oder Bewegungen wie „Fridays for Future“. Unabhängig davon, welche persönliche Meinung man zu solchen Engagements vertritt, zeigen diese deutlich, dass Jugendliche politische Zusammenhänge verstehen und in ihrer Wahlentscheidung berücksichtigen können. Darüber hinaus treffen Heranwachsende in diesem Alter bereits wichtige Entscheidungen, zum Beispiel werden die grundlegenden Weichen für die berufliche Zukunft gestellt.
Ein weiterer Grund für ein Wahlrecht ab 16 ist eine beträchtliche Stärkung der Legitimation von Entscheidungsträgern, welche im Sinne aller demokratischen Kräfte sein sollte. Derzeit sind über die Hälfte der Wahlberechtigten in Deutschland über 55 Jahre alt, weshalb diese Alterskohorten überdurchschnittlich stark repräsentiert und für sie relevante Themen besonders in den Fokus gerückt werden. Eine Herabsenkung des Wahlalters würde dafür sorgen, dass einer solchen Entwicklung entgegengewirkt wird.
Abschließend lässt sich festhalten, dass die Vorteile einer Herabsenkung des Wahlalters auf 16 die Einwände deutlich überwiegen. 16- und 17-Jährige wollen über ihre Zukunft mitbestimmen und sind erwiesenermaßen in der Lage dazu. Sie merken, dass, ihnen wichtige, Themen wie Klimaschutz, Bildung oder Generationengerechtigkeit zu wenig Beachtung geschenkt wird. Mindestens auf kommunaler Ebene ist die Herabsenkung längst überfällig. In 11 von 16 Bundesländern dürfen 16- und 17-Jährige bereits wählen, in Hessen paradoxerweise nicht. Eine Inklusion bei Wahlen war historisch immer ein Gewinn, sei es beim Frauenwahlrecht oder bei der Herabsenkung des Wahlrechts auf 18 Jahre. Ebenso wird ein Wahlrecht ab 16 unsere Gesellschaft und unsere Demokratie voranbringen. Geben wir endlich jungen Menschen das Grundrecht auf Partizipation an Wahlen und eröffnen ihnen die Chance über ihre Zukunft aktiv zu entscheiden!
Wir danken Tom für seinen Gastbeitrag. Die Piratenpartei setzt sich seit Jahren für ein Wahlalter ab 14 ein und kann seine Forderungen nur unterstützen.