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Praktizierte Homöopathie: PIRATEN in Berichterstattungen zum Landtagswahlkampf 2018

Ich bin gewiss kein Anhänger von Verschwörungstheorien. Dennoch muss ich mich angesichts weitgehender medialer Ausblendung der PIRATEN in diesem Landtagswahlkampf – zumindest auf kommunaler Ebene – schon sehr wundern. Insbesondere als Direktkandidat in einer Stadt, in der ich mich seit 2009 als Vertreter der Piratenpartei für die Interessen unserer Wählerinnen und Wähler unter erheblichem Zeitaufwand ehrenamtlich engagiere.

Sozialer Wohnungsbau ist derzeit in aller Munde. Auch wenn es medial nie wirklich korrekt dargestellt worden ist, aber es waren die PIRATEN, die 2013 im Marburger Stadtparlament eine Sozialquote auch im privaten Wohnungsbau ab einer bestimmten Bauvorhabengröße gefordert hatten – von rot-grün zunächst verbal niedergeknüppelt und dann Ende 2015 in das Marburger Wohraumkonzept aufgenommen. PIRATEN wirken!

Wir waren es auch, die über viele Jahre hinweg unermüdlich immer wieder Vorschläge für mehr Bürgerbeteiligung ins Parlament einbrachten: Von einfachen Ergänzungen eines eher schlecht gemachten Mängelmelders über eine anständige Beteiligungssatzung, die Etablierung von direkten Initiativrechten aus der Bürgerschaft ins Stadtparlament hinein bis hin zu einem Online-Bevölkerungsbefragungssystem und einem Bürgerhaushalt. Alles wurde abgelehnt, bzw. in die Entwicklung des „oberbürgermeisterlichen Bürgerbeteiligungskonzeptes“ umgeleitet. Dieses Konzept ist nun Ende letzten Monats vom Stadtparlament verabschiedet worden – von unseren weitgehenden Vorschlägen wurde leider nahezu nichts realisiert. Dennoch sehen wir es als ausbaufähige Anfangskonstellation und werden auch weiterhin probieren, Ideen für eine konstruktive Weiterentwickelung beizutragen. So sind wir eben gestrickt. Sachorientiert.

Am 19. Oktober ging nun der Landesverband der Piratenpartei flächendeckend mit der Mitteilung an die Öffentlichkeit, man werde Verfassungsbeschwerde gegen den sogenannten Hessentrojaner erheben. Auch die lokal ansässige Oberhessische Presse war informiert. Sie hatte sogar zusätzlich zu dem üblichen Weg einer Pressemitteilung per eMail ein Interviewangebot zu diesem wichtigen Thema sowohl des Marburger Direktkandidaten als auch des hessischen Spitzenkandidaten der Landesliste erhalten. Keine Antwort. Auch auf Nachfrage, ob das Angebot denn angekommen sei, keinerlei Reaktion. Was ist da los? Ist das Thema etwa nicht wichtig genug?

Doch, ist es. Wir erleben derzeit in verschiedenen Bundesländern eine Sicherheitshysterie, die zur Durchsetzung von mehr Überwachung durch neue Polizeigesetze und Staatstrojaner genutzt wird – dabei belegen alle Statistiken einen Rückgang von Kriminalität. Die Begründungen für diese Polizeigesetze erwecken dann aber entgegen all dieser statistischen Erhebungen öffentlich den fatalen Eindruck, die AfD und andere Rechtspopulisten lägen richtig.

Mit der ursprünglichen Verfassungsschutzgesetzesnovelle und der Änderung des Polizeigesetzes (HSOG) tragen CDU und Grüne aus unserer Sicht in Hessen zu einer Stärkung demokratiefeindlicher Tendenzen bei. Obwohl sich die Opposition von diesem Gesetz distanziert – für das die Landesregierung übrigens auf Vorschlag der Piratenpartei Hessen zu Recht den diesjährigen „Big Brother Award“ (BBA) erhalten hatte – hat sie jedoch keine Verfassungsbeschwerde gegen die Verabschiedung dieses Gesetzespakets erhoben. Ein solches Verhalten ist unverständlich, nicht konsequent und letztlich unglaubwürdig.

Es musste erst die primär auf kommunaler Ebene aktive Piratenpartei kommen, um hier einzugreifen. Ein Armutszeugnis für die Opposition im hessischen Landtag und ein Beleg dafür, wie dringend PIRATEN auch im neuen Landtag gebraucht werden.

Dabei geht es bei unseren Bedenken nicht einmal „nur“ um neue Überwachungsmöglichkeiten. Es geht auch darum, dass der Staat zum Einsatz solcher ohnehin fragwürdigen Überwachungstechnologien bewusst Lücken in zentralen IT-Systemen offen lässt und damit die Bevölkerung entgegen des staatlichen Vorsorgeprinzips gefährdet.

Zwischenfazit: Dies ist aus unserer Sicht ein Thema, das sehr wohl übergeordente Presserelevanz hat und wo man sich dann auch zu Recht fragt, wieso es ausgeblendet wird – wie so vieles andere in den letzten Jahren auch.

Darüber hinaus hatte ich mich als Direktkandidat der PIRATEN für Wahlkreis 13 mit einem Satz von Fragen zu befassen, die im Rahmen des Wahlmagazins der Oberhessischen Presse aufgegriffen werden sollten. Abgesehen von einer (durchaus gelungenen) Zusammenfassung, die am 5. Oktober dann dankenswerter Weise auch erschien, fand danach bezügl. PIRATEN in der Oberhessichen Presse nichts mehr statt. In munterer Regelmässigkeit wurden die mir übermittelten Fragen und die Antworten der Mitbewerberparteien abgedruckt. Die Positionen der PIRATEN hingegen nicht. Auch gab es diverse Interviewrunden – wir waren nicht geladen, fanden für die Öffentlichkeit sichtbar nicht statt. Dadurch entsteht natürlich der Eindruck, wir hätten zu den Themen nichts zu sagen. Haben wir aber. Wir haben überhaupt zu allen Themen etwas beizutragen – nicht umsonst lautet unser Landtagswahlmotto 2018 „ZUHÖREN… statt abhören!“.

Nach welchen Kriterien wurden die Parteien eigentlich ausgewählt? Wieso war z.B. die ebenso wie die PIRATEN nicht im hessischen Landtag vertretene AfD dabei? Als PIRATEN hätten wir doch – im Gegensatz zur AfD – zumindest angesichts unserer Präsenz im Stadtparlament auf Berücksichtigung hoffen dürfen. Pustekuchen!

Eines sollte doch klar sein: Wenn man immer nur den Etablierten Raum zur Meinungsäußerung gibt, wird man auch keine neuen Impulse für Politik bekommen. Die 5% Hürde sorgt bei Wahlen regelmässig dafür, dass die Meinung von Millionen Menschen trotz abgegebenen Votums in unseren Parlamenten nicht repräsentiert ist. Das schürt Unmut.

Da unsere Positionen den Wählerinnen und Wählern durch die lokal ansässigen Presseorgane leider – aus welchen Gründen auch immer – nicht zugänglich gemacht werden konnten, stelle ich unten nun abschließend zumindest die Fragen, die mich als Direktkandidat erreichten, noch einmal ausführlich mit meinen Antworten zusammen:

Was sind Ihre wichtigsten politischen Ziele?

Wir müssen die verfassungsgemäßen Freiheitsrechte von Menschen sicherstellen und ausbauen und klare Kante gegen populistisch „begründete“ Überwachungsmaßnahmen wie z.B. Videoüberwachung und den Einsatz von Staatstrojanern zeigen.

Wir brauchen in Hessen eine Stärkung der Mitbestimmungsmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger vor Ort und müssen dazu Hürden, die in der Hessischen Gemeindeordnung (HGO) und anderswo verankert sind, abbauen.

Wir müssen sicherstellen, dass Bildung vom U3-Bereich über das Studium bis zur VHS vollständig kostenfrei wird, Medienkompetenz besser vermittelt und freie Lehr- bzw. Lernmittel viel stärker gefördert und eingesetzt werden, als das bislang der Fall ist – Digitalisierung darf dabei keine Randnotiz bleiben. Ich rege darüber hinaus an, Hessens Schulen möglichst breit angelegt um das Element „offene Werkstatt“ / „FabLab“ / „Hackerspace“ zu bereichern, um bereits Schülern den eigenständigen Zu- und Umgang mit Werkzeug und Technik zu ermöglichen (3D Drucker, VirtualReality Umgebung, LaserCutter, CNC-Fräse, E-Werkstatt, uvm.), damit von Grund auf eine Kreativ- und Innovationskultur gefördert wird.

Wir brauchen angesichts der zunehmenden Luftschadstoff- und Lärmproblematik in Städten ein moderneres ÖPNV-Konzept (umlagefinanziert, fahrscheinfreies Einsteigen und Losfahren, neue Sharing-Modelle – der Trend geht weg vom eigenen Auto…), eine Förderung von Begrünungsmaßnahmen (Dach- & Vertikalgärten) und eine Attraktivierung des ländlichen Raums – dazu gehört eine Verbesserung der Infrastruktur hinsichtlich Kommunikation (Glasfaser-Breitbandausbau), Verkehr (verbesserte ÖPNV-Anbindung) und Versorgung (Förderung dezentraler Energieerzeugung).

Das Land Hessen muss sozialen Wohnungsbau wesentlich stärker vorantreiben, als das bislang der Fall ist. Die Stadt Wien kann hier hinsichtlich Wohnraumpolitik vielleicht als Beispiel dienen.

In öffentlichen Einrichtungen eingesetzte Software muss quelloffen und sollte zudem frei sein, da mit ihr sensible Datensätze bearbeitet und sicherheitsrelevante Prozesse gesteuert werden.

Wieso treten Sie zur Landtagswahl an?

Ich habe leider den Eindruck, dass viele Entscheidungen der derzeitigen Landtagsabgeordneten in wichtigen Themen falsch sind.

Das krasseste Beispiel ist für mich eine grüne Landtagsfraktion, die sich gemeinsam mit der CDU für eine Ausweitung der Überwachungsmöglichkeiten der hessischen Bevölkerung einsetzt und dafür in Kauf nimmt, dass für den Einsatz sogenannter Staatstrojaner-Überwachungssoftware in sicherheitsrelevanter Infrastruktur IT-Sicherheitslöcher bewusst offen gehalten werden – also z.B. in Krankenhäusern, bei Stromzulieferern, in Verkehrsschaltzentralen und Kraftwerken. Was das Ergebnis solch unverantwortungslosen Handelns sein kann, haben wir in England mit der Evakuierung von Krankenhäusern als Folge des WannaCry-Trojaners bereits erleben müssen. Ich empfehle Bündnis 90/Die Grünen konsequenter Weise das „Bündnis 90“ aus ihrem Namen zu entfernen. Hier wird staatlicher Durchleuchtung Vortrieb und nicht mehr Widerstand geleistet – wie zu Zeiten der DDR.

Ich bin darüber hinaus der Ansicht, dass bestimmte Regularien der hessischen Gemeindeordnung (HGO) geändert werden sollten. Diese betreffen z.B. die Hürden und Umstände unter denen direktdemokratische Mittel, wie Bürgerbegehren, einsetzbar sind. Ich wünsche mir als Stadtverordneter seit Jahren direktere Eingriffsmöglichkeiten in den ÖPNV und den Finanzhaushalt der Stadt auch über Bürgerbegehren. Es geht mir also um eine grundsätzliche Ausweitung direkter Mitbestimmungsmöglichkeiten im bisherigen „Stellvertreteransatz“.

Was hat Sie zu ihrem politischen Engagement motiviert?

Ich interessiere mich für die Frage, wie man Menschen tatsächlich die freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit ermöglichen könnte, statt ihr Leben – wie es derzeit Praxis ist – letztlich wirtschaftlichen Zwängen zu unterwerfen. Die freie Persönlichkeitsentfaltung ist nach meinem Verständnis trotz Grundgesetzvorgaben derzeit leider noch immer nicht gegeben – dazu braucht man sich nur die Sanktionsmöglichkeiten durch die Hartz-Gesetze anzusehen.

Ich stelle mir vor, dass unsere Wertegemeinschaft jedem Bundesbürger ein Grundeinkommen verfügbar machen sollte, ohne an seine Auszahlung Bedingungen zu knüpfen, damit die grundlegenden Bedürfnisse abgedeckt sind. Ausgehend hiervon könnte dann jeder gleichberechtigt agieren. Das ist sicher ein ambitioniertes Generationenprojekt, das grundlegende gesellschaftliche Veränderungen zur Folge hätte, aber in vielen Teilschritten realisierbar erscheint – beginnend mit einer Adressierung von Kinder- und Altersarmut. Es gibt dazu allerhand interessante Überlegungen und wir müssen endlich anfangen, die bisherige Flickschusterei am verkorksten, nicht mehr zeitgemäßen System zu lassen und schrittweise Dinge neu zu erproben. Stichwort: Experimentierfreudigkeit.

Diese Gesellschaft krankt aus meiner Sicht leider zunehmend an dem Prinzip, das wirtschaftlichen Erfordernissen vieles andere untergeordnet wird. Wir sollten uns daher vielleicht mal überlegen, ob wir die grundsätzlichen Anreize – derzeit Gewinnmaximierung – durch Gemeinwohlmaximierungsziele ersetzen können. Wir brauchen uns in Marburg nur die kürzlich vermeldete Insolvenz des Ionenstrahltherapiezentrums anzuschauen: Da gibt es Menschen, die überleben möglicherweise nur, wenn sie diese Therapieform nutzen können. Aber weil die Einrichtung keine Profite abwirft, wird sie dicht gemacht? Geht aus meiner Sicht gar nicht. Wäre das Projekt in der Hand von uns Bürgern, würden wir seinen Wert höchstwahrscheinlich anders bewerten. Also: Rekommunalisierung.

Wieso werden Sie sich (nicht) für ein 80/60-Tempolimit auf der Stadtautobahn einsetzen?

Als Mitbegründer der Bürgerinitiative Stadtautobahn fordere ich seit bald 10 Jahren die Eintunnelung der B3a von Gisselberg bis Cölbe und eine Überbauung der dadurch freiwerdenden Flächen. Obwohl in zahlreichen öffentlichen Veranstaltungen zig konkret ausgearbeitete Konzepte mit Finanzierungsangaben der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM) präsentiert wurden, ist von der Stadtpolitik nichts davon aufgegriffen worden. Und das, obwohl das Stadtparlament den Magistrat bereits 2013 einstimmig dazu aufgefordert hat „konkret die Prüfung der Realisierbarkeit einer Untertunnelung der B3a im Stadtgebiet Marburg in Angriff zu nehmen“ (Zitat, Vorlage – VO/2403/2013). Ein Projekt, dass vor dem Hintergrund weiterhin wachsender Lärm-, Schadstoff- und Verkehrsbelastung von erheblicher Bedeutung für die Stadt Marburg sein könnte und darüber hinaus hervorragende Möglichkeiten für neue Wohnbebauung im Innenstadtbereich ermöglicht (neuer Stadtteil am Fluss).

Ich denke, dass es ein Armutszeugnis für Stadt- und Landespolitik ist, dass nicht einmal das seit Jahren geforderte 80/60 Tempolimit realisiert werden konnte. Wenn es nach mir ginge, gäbe es ab Morgen im Stadtbereich auf der B3a ein Tempolimit von 50 km/h bis das Ding endlich unter der Erde ist. Die Trasse ist aus meiner Sicht als innerstädtische Fahrbahn zu sehen und (nicht nur) für die Anwohner unzumutbar.

Philipps-Universität und Co.: Wie soll es gelingen, Fachkräfte im Landkreis zu halten?

Durch einen durchdachten Ausbau der ländlichen Infrastruktur. Dazu gehört u.a. der Glasfaserbreitbandausbau, eine deutlich verbesserte Verkehrsanbindung im Sinne eines umlagefinanzierten, fahrscheinfreien ÖPNV, modernere Sharing-Modelle und eine Förderung dezentral organisierter Energiegewinnung.

Wie ist kostenlose Bildung von der Wiege bis zur Rente – von Krippe über Uni bis zur VHS – finanzierbar?

Durch eine sinnvollere Verteilung der bisherigen Steuereinnahmen.