Allgemein

Unser Stadtverordneter Dr. Michael Weber zum Haushalt

Sehr geehrte Frau Stadtverordnetenvorsteherin,
liebe Kolleginnen & Kollegen,

Wir hatten bereits am letztjährigen Haushalt eine gewisse Unübersichtlichkeit bemängelt.
Geändert hat sich daran nichts!
Der FD 11 ist nach wie vor wenig transparent dargestellt:
Sämtliche Ausgaben erscheinen als Kleckerbeträge, verstreut über den gesamten Haushalt – Wie soll man unter solchen Umständen arbeiten?

Darüber hinaus ist das Werk dieses Jahr sogar noch intransparenter geworden, da es ursprünglich nicht einmal mehr die Zuweisungen an die freien Träger auswies, wie das in den letzten Jahren immerhin noch der Fall war.
Begründung: Laut HGO müsse man das nicht so detailliert machen.

Angesichts solcher Aussagen fragt man sich schon:
Was ist eigentlich Ihr Ziel?
Wollen Sie durch Vermittlung umfassender, sachkundiger und gut aufbereiteter Datengrundlagen das Parlament in die Lage versetzen, fundierte Sachentscheidungen treffen zu können oder ist es eher Ihr Ansinnen, Dinge im Dunkeln zu lassen, zu verschleiern und für Laien unverständlich zu halten?

Dieses Parlament hatte auf unseren Antrag im März letzten Jahres einstimmig beschlossen, dass in jedem Haushaltsjahr eine Haushaltsschulung für interessierte Mandatsträger anzubieten ist.

Passiert ist nichts.
Man fragt sich, wozu man dieses Parlament eigentlich betreibt, wenn Beschlüsse nicht umgesetzt werden?

Und Nein, das ist eben KEIN Einzelfall!

Ich erinnere an die von uns beantragte & einstimmig beschlossene Prüfung einer Dachgartenoption für das damals noch unter Herrn Vaupel geplante Altenheim am Richtsberg:
Nichts wurde geprüft.

Ich erinnere an die ebenfalls von uns eingebrachte und beschlossene Überprüfung des Gründachkatasters:
Statt dazu zunächst mal einen Ergebnisbericht zu liefern, sind laut Haushalt weitere Investitionen vorgesehen (S. 561).

Ich bin schon sehr gespannt, was mit der Umsetzung unseres beschlossenen Antrags zur Dachgartenoption auf dem Neuentwurf des Altenheims geschehen wird.
Es geht hier um eine hervorragende Chance, beispielhafte Lebensqualität für Senioren mit überregionalem Modellcharakter zu entwickeln, und dies auch noch mit Luftreinhaltevorhaben zu kombinieren.

Aber bleiben wir beim Haushalt:

Wir hatten von intuitiveren Datenvisualisierungen bis hin zur Beteiligung der Bevölkerung dieser Stadt in Form der Einführung eines Bürgerhaushalts einiges an innovativen Vorschlägen für eine modernere Haushaltsaufbereitung und -gestaltung beantragt.

Das alles haben Sie entweder abgelehnt oder es ist in dem schwarzen Loch der oberbürgermeisterlichen Bürgerbeteiligungskonzeptentwicklung verschwunden.
Hoffentlich nur vorübergehend…

Kommen wir zu unseren konkreten Vorschlägen für den Haushalt 2018:

Sie wollen insgesamt 100k € in die Beseitigung von Graffiti investieren, davon 60 k € an öffentlichen Einrichtungen und weitere 40 k als Förderzuschüsse zur Beseitigung an Privateigentum.
Da schieben wir Ihnen einen klaren Riegel vor!
Aus unserer Sicht können Sie das Geld der Steuerzahler genauso gut mit beiden Händen aus dem Fenster werfen.
Jedes Kind weiß doch, wie sehr der geneigte Graffiti-Künstler sich freut, wenn frisch gereinigte Malflächen erneut zur Verfügung gestellt werden…

Was wir für sinnvoll hielten, wäre ein ganz anderer Ansatz, bei dem man die immer wieder betroffenen Flächen einfach mit professionellen Graffitis versieht.

Wir haben selbst in MR dafür ein schönes Lehrbeispiel, nämlich die Peter & Paul Kirche in der Biegenstraße.
Dort hat man neben dem Hörsaalgebäude jahrelang das Problem von Schmierereien gehabt.
Dann wurde ein eigenes Graffiti an die Kirche gemalt und schon hatte die Seele Ruh!
Warum geht die Stadt Marburg das nicht ähnlich an und macht stattdessen einen auf „Law-and-order“-Politik?

Kommen wir zum Steg im Northampton Park:
der Park ist geprägt von den dort spielenden Kindern.
nun soll der Steg für 150k € erneuert werden.
Wir schlagen vor, den Steg dem Flair eines Kinderspielareals angemessen für 1/3 der Kosten alternativ instandsetzen zu lassen, indem die Stadt z.B. die Kulturinsel Einsiedel in Sachsen damit beauftragt.
Wenn Sie mal im Internet nachschauen, werden Sie feststellen, dass man für weniger Geld wunderbare Kreativlösungen finden kann – in DIN-Norm.
Einsparung: 100k €, attraktiveres Ergebnis.

Dann das Grüner Wehr:
Sie wollen dieses Jahr 170 k€ in Planungsstudien für einen Neubau mit einem Gesamtvolumen von ca. 3,5 Mio € investieren.
Wir stellen stattdessen 20 k€ für evt. anfallende Reparaturen am Wehrbestand zurück und streichen den Rest der Planungsgebühren UND den gesamten Neubau, der selbst bei eingeworbenen 1,5 Mio € Fördergeldern vom Bund die Stadt in den kommenden Jahren immer noch 2 Mio € kosten würde.

Mal abgesehen von den in der Presse umfassend geschilderten Problemen, z.B. für den Bau schweres Gerät heranschaffen zu müssen, wobei vermutlich ein guter Teil der schönen Uferbaumbestände weichen müsste und nicht renaturiert werden könnte, bin ich mir nicht sicher ob Sie es schon wussten, aber genau dort am Wehr scheint es Eisvögel zu geben.

Eine streng geschützte Vogelart, die mit Fotos im Internet in ihrem Vorkommen an genau dieser Stelle dokumentiert ist.
Ich lasse Ihnen das bei Interesse gerne mal zukommen.

Den durch diese Einsparungen erzielten Finanzspielraum wollen wir zu einem Teil dazu nutzen, verbliebenen Förderbedarf freier Träger im sozialen & kulturellen Bereich – so wie sie uns per Schreiben zugegangen sind – zu decken.

Kommen wir zum Löwenanteil unserer Einsparungsvorschläge, die wir für innovativen Gestaltungsspielraum nutzen wollen:
Sie alle wissen, dass die PIRATEN sich seit Jahren dafür stark gemacht haben, dass in der kommunalen Verwaltung Open Source Software eingesetzt wird.
Was haben Sie trotz unserer gebetsmühlenartigen Forderungen dahingehend bislang unternommen?
Nichts!

Aus diesem Grund haben wir dieses Jahr beschlossen, das Gesamtvolumen von fast 1 Mio €, die Sie jährlich – ich wiederhole: jährlich – für:
Zitat: „Softwarewartung & kleinere Updates“ ausgeben, um gut 50% zu streichen.

So.
Warum diese Radikalkur?
Ich will es Ihnen an ein paar Beispielen noch einmal etwas ausführlicher erläutern:

Erinnern wir uns an den kürzlich durch die Presse geisternden „Bundeshack“!
Was war die Ursache?
Microsoft Outlook.
Eine proprietäre Closed Source Software eines amerikanischen Großkonzerns, die ganz offensichtlich sogar in sicherheitsrelevanten Bereichen zum Einsatz kommt.

Und das vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Microsoft Produkte nach meinem Kenntnisstand auch noch ständig irgendwelche Datenpakete irgendwohin versenden.
Mit deutschem Datenschutzrecht kaum zu vereinbaren.
Schon gar nicht in der neuen EU-Form, die als Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) ab dem 25. Mai Inkraft tritt.

Und wir erinnern uns – liebe Lindner-Partei – es war im Jahr 2011 IHR Kollege Westerwelle, der für die Etablierung von Microsoft-Produkten auch in diesen Bereichen gesorgt hat.

Aber kommen wir von der Bundes- auf die Kommunalebene:
Ich gehe zum Stadtbüro und lasse mir dort einen neuen Biometrieausweis ausstellen.

Was glauben Sie, was mit meinen Fingerabdrücken dort passiert?
Die werden in irgendeiner Form als Datei gespeichert.
Dasselbe gilt für mein Passfoto.
Können wir ausschließen, dass die dort zum Einsatz kommende Software, deren Quellcode überhaupt niemand außer der Herstellerfirma kennt, diese sensiblen Daten nicht irgendwohin verschlüsselt abtransportiert?

Dann hätte am Ende irgendwer Zugriff darauf, schnappt sich seinen ausrangierten Tintenstrahldrucker, leert die Tintenpatrone, füllt aus der Küche Sonnenblumenöl ein und bedruckt mit den erbeuteten Fingerabdrücken munter irgendwelche Gegenstände, die dann irgendwo platziert werden könnten.

Eine schon etwas beunruhigende Vorstellung oder?

Oder nehmen wir die Virenscanner, die überall laufen – nicht nur in unserer Verwaltung, sondern vermutlich auch daheim auf Ihrem Rechner:
Erneut: Closed Source Software, von der wir Null Ahnung haben, was die eigentlich genau macht.
Der müssen Sie zur Funktionstüchtigkeit zwingend Administratorrechte einräumen.
Die Programme gehen ggf. automatisch ins Internet, um sich Updates zu holen.
Wer weiß, was die noch alles an Informationen übertragen?
Spätestens wenn Ihnen ihr Virenscanner freundlich grinsend mitteilt, dass auf ihrem Rechner 144 unsichere Firefox-Passwörter gespeichert sind, sollten bei Ihnen die Alarmglocken läuten.
Die Herstellerfirmen solcher Virenscannersoftware sitzen oft genug im Ausland:
Tschechien (AVAST), Russland (Kaspersky), USA (McAffee).
Woher wissen wir, was diese Software alles auf unseren Systemen und mit unseren Daten treibt?
Genau.
Wir wissen gar nichts.
Und deshalb gehört diese Software vor allem von den kommunalen Systemen, auf denen unsere Bürgerdaten gespeichert sind, verbannt.

Und ja – wir streichen der Stadt gut die Hälfte der Mittel, solcherlei Software weiter zu betreiben.
Und das also aus gutem Grund!

Was wollen wir mit den eingesparten Geldern tun?

Marburg ist eine Stadt mit hohem Innovationspotential.
Ca. 1/3 der Bevölkerung sind Studierende.
Menschen, die aber leider in den überwiegenden Fällen nach einer hochkarätigen Qualifizierungsphase in andere Städte abwandern.
Wir würden die eingesparten Gelder gerne dazu einsetzen, um damit zu beginnen, allmählich ein Umfeld zu gestalten, damit zumindest ein Teil dieser – und anderer – Leute innovative Ideen, auch z.B. in Form von StartUps direkt hier vor Ort umsetzen können.
Dazu aber brauchen wir FabLabs, wir brauchen offene Werkstätten und Co-Working Spaces, wir brauchen E-Werkstätten und VirtualReality Arbeitsumgebungen.

Nun hatte die Stadt die einzigartige Chance, das Lokschuppenareal zu diesem Zweck umzugestalten.
Sie hat diese Chance nicht genutzt und die Flächen stattdessen an eine Investorengemeinschaft verkauft.
Diese baut nun immerhin zum Teil dort Dinge, die in unserem Sinne sind.
Leider aber befürchten wir, dass bei den geplanten Quadratmeterkaltmietpreisen, die eben beschriebene Clientél sich dies eher nicht wird leisten können.

Menschen, die Ideen haben, sind eben nicht notwendigerweise auch Menschen, die Geld, Raum & Materialien haben.
Man sieht das sehr schön an dem von der Stadt dankenswerterweise unterstützten Freifunkprojekt:
Dieses hat sich nämlich genau in einer solchen niederpreisigen offenen Werkstatt in Marburg angesiedelt;
Es hat, gemeinsam mit dem OB, den Stadtwerken, der Feuerwehr und vielen anderen Akteuren u.a. dafür gesorgt, dass die 2015 hier angekommenen Flüchtlinge per Freifunk ihre Angehörigen kostenfrei kontaktieren und mit ihnen dauerhaft kommunizieren konnten – was sicherlich – neben vielen, vielen anderen Dingen – auch ein kleiner Beitrag dafür gewesen sein dürfte, dass Menschen sich aufgenommen gefühlt haben und Marburg viele Schwierigkeiten erspart geblieben sind, die anderswo vorgefallen sind.

Wir möchten gerne, dass die von uns eingesparten Mittel zur Erweiterung, bzw. zum Teilumbau von Schulen oder anderweitig freien Räumen in z.B. Bürgerhäusern eingesetzt werden, damit sich dort solcherlei innovationsfördernde Freiräume ansiedeln können.
Wir können uns gut vorstellen, dass z.B. bei Ansiedlung in einer Schule – nehmen wir mal besipielhaft die RGS – sogar zusätzliche Kursangebote entstehen.

Kommen wir zum letzten Block: Dem fahrscheinlosen ÖPNV.
Wir hatten ja schon vor einiger Zeit vorgeschlagen, in Marburg zunächst für einen zeitlich begrenzten Testzeitraum einen solidarfinanzierten ÖPNV einzurichten.

Das Projekt ist für den Haushalt ein Nullsummenspiel, da es lediglich darum geht, die jährlichen Fahrscheineinnahmen von ca. 7,2 Mio € auf die Marburger Gesamtbevölkerung umzulegen.

Unterm Strich würde das bedeuten, dass z.B. jeder in MR Wahlberechtigte pro Monat 11 € zu zahlen hätte.
Ob, über welchen Zeitraum und mit welchem Finanzierungsmodell das Ganze umgesetzt werden soll, könnte aus unserer Sicht sehr gut im Rahmen eines Bürgerbeteiligungsprojekts geklärt werden.

Im Ergebnis hätten wir nichts weniger, als eine ÖPNV-Flatrate für alle im Stil eines sehr günstigen Semestertickets.
Jeder in Marburg könnte nach Belieben einsteigen, es gäbe keine Tickets, keine Kontrollen, beliebige Fahrt.
Auch für Touristen.

Inzwischen hat ja sogar die Bundesregierung erkannt, dass dieses von PIRATEN seit Gründungsbeginn propagierte Modell seinen Charme hat.
Auch vor dem Hintergrund der städtischen Luftschadstoffbelastungen.
Stichwort DieselGate.

So, aus all diesen Gründen bitten wir Sie um die Zustimmung zu unseren Änderungsanträgen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.