Fraktionen der demokratischen Opposition haben für den 7.September 2016 zu einem Pressegespräch geladen, bei dem auch ich als Einzelabgeordneter der Piratenpartei als Mitstreiter geführt werde. Ich habe mit den beteiligten Fraktionen der Grünen, Freien Wähler und FDP sowie der Linken produktiv zusammengearbeitet, wo es sinnvoll und angemessen war, und möchte das auch weiterhin tun.
Was ich nicht tun werde, ist in Hinterzimmern vorbereitete Presseerklärungen zu verlesen, bei deren Erstellung ich nicht mitwirken konnte. Wenn man Sonntag-Nachmittag mit einer solchen Veranstaltung für den kommenden Mittwoch überfahren wird und vorbereitete Statements bekommt, ist das mit dem Transparenz- und Demokratieverständnis eines Piraten schwer zu vereinbaren.
Wir haben Zugriff auf Tools und Infrastruktur wie Etherpads und Telefonkonferenz-Server, mit denen sowohl zeitlich synchron als auch asynchron gemeinsam Texte entworfen und bearbeitet werden können (wie diese Erklärung hier) und die ich gerne für eine gemeinsame politische Arbeit zur Verfügung stelle.
Neben der Art und Weise des an den Tag gelegten Vorgehens gibt es auch inhaltlich durchaus nicht den konstatierten Gleichklang. Richtig ist, dass es an der Politik des Kreistags und der Kreisspitze berechtigte Kritik gibt. Diese öffentlich zu machen und konstruktiv auf Abhilfe zu dringen ist unsere ureigene Aufgabe als Opposition.
Eine große Koalition sehen wir Piraten als eher schlechte Möglichkeit an, die Interessen der Menschen breit zu vertreten. Im internen Kompromiss schwinden Positionen und Ideen, heraus kommt eine uninspirierte Stagnation, ein „weiter so“.
Für die Opposition ist es nun nicht erforderlich, kreative Politik zu machen, ein Dagegen-Sein reicht schon. Man steht ja nicht in der Pflicht und kommt noch nicht einmal in Verlegenheit, Mehrheiten für eigene Vorschläge finden zu müssen.
Die Piratenpartei wurde gegründet, gegen derartige Erstarrung des Systems neue Impulse zu liefern, ein Systemupdate einzufordern und zu liefern.
Die Fraktionen der Grünen, der Freien Wähler und der FDP sehen in der Politik der Kreisspitze und der großen Koalition keine Politik zum Wohle der Kommunen und möchten einen Kurswechsel. Das klingt zunächst nicht schlecht. Ich werde nun auf die in dem mir zugesandten Papier angesprochen Punkte eingehen und zeigen, warum für Piraten die Kur nicht besser ist als die Krankheit.
Kreisumlage
Das ist ein komplexes Thema. Ich möchte mich dazu nicht mit drei Tagen Vorlauf äußern oder mit etwas solidarisieren, dessen Auswirkungen ich nicht vollumfänglich erfasse.
Es kann nicht sein, dass ein Kreis, der gerade aus dem Schutzschirm herausgeschlüpft ist, gleich wieder handlungsunfähig gespart wird. Eine Senkung der Kreisumlage ist zwar wünschenswert, aber erst, wenn klar ist, dass der Kreis handlungsfähig bleibt. Das schließt Reserven für nicht Vorhersehbares ein.
Woher sollen sonst Gelder für Projekte wie bessere Infrastruktur, Wohnungsbau, Breitbandversorgung und medizinische Verorgung kommen? Das einzige Mittel, mit dem wir gestalten können, ist nun einmal Geld. Auch den Gemeinden kann ein finaziell gut aufgestellter Kreis nützen, indem er im Sinne eines Lastenausgleichs dort hilft, wo die Gemeinde es allein nicht stemmen kann, und Impulse gibt wie z. B. die Unterstützung und Vernetzung von Direktvermarktern.
Wir sehen durchaus die Senkung der Kreisumlage auf der Agenda für die nächsten fünf Jahre, halten aber vorerst die erfolgreiche Sanierung und damit einhergende Handlungsfähigkeit des Kreises für wichtiger.
Personalkosten
Man beklagt einerseits die Ausweitung des Personals, kritisiert andererseits aber, dass Verwaltungsvorgänge zu lange dauern. Die Kritik sieht falsche Prioritäten.
Zu diesem Punkt möchte ich derzeit wenig erklären. Die Kreisverwaltung befindet sich durch altersbedingtes Ausscheiden mehrerer Führungskräfte in einem Wandlungsprozess, wodurch eine Umorganisation erforderlich würde, sofern man nicht einfach neu besetzt. Diese Umorganistion ist, wie auch die Kollegen der Franktionen von Grünen, Freie Wähler und FDP inzwischen wissen, gerade im Gange.
Andere kritisierte Maßnahmen wie z. B. die Einstellung eines neuen Fahrers erwiesen sich bei genauer Durchsicht als Papiertiger – hier wurde keine neue Stelle eingerichtet, sondern eine länger nicht besetzte neu besetzt, um die massive Überstundenbelastung der vorhandenen Fahrer abzubauen.
Umgang mit Kommunen
Die Bürgermeister der Kommunen haben alles Recht zu einer Kritik des Kreistages. Einer Presserklärung der vier hier zusammengekommenen Bürgermeister sollten wir zuhören.
Allerdings frage ich mich, warum die Kreistagsfraktionen hinzugezogen werden. Diese stehen für ein übergeordnetes Gremium, das entsprechend einen weiteren, größeren Zusammenhang zu beachten hat.
Der Interessenkonflikt zwischen Kreis und Kommune kann schlecht aufgelöst werden, solange die Vertreter des Kreistages Interessen ihrer Kommunen vertreten statt des übergeordneten Gremiums, in das sie gewählt wurden. Der Designfehler, dass Bürgermeister und kommunale Mandatsträger im Kreistag sitzen dürfen, ist verantwortlich für diesen Missstand.
Zukunftsthemen
Das Papier beklagt, dass zu beschlossenen Energie- und Klimaschutzzielen seit Monaten nichts konkretes zu hören sei. – Warum finde ich auf der Tagesordnung der nächsten Kreistagssitzung keine Anfrage der Grünen dazu? Zum Thema Cybersicherheit in den Kommunen sei seit zwei Jahren nichts konkretes passiert – ist das nicht zunächst ein Thema der Kommunen?
Kritisiert wird, dass die Breitbandgesellschaft längst abgewickelt worden wäre, wenn die kommunalen Bürgermeister nicht interveniert hätten.
Was tut denn diese Breitbandgesellschaft nun noch?
Eine Abwicklung wäre in gewisser Weise konsequent, nachdem das Netz an die Telekom mit Bonus verschenkt wurde. Hat sich irgendjemand mal Gedanken darüber gemacht, dass eine „Deckungslücke“ für eine Aktiengesellschaft etwas völlig anderes ist als für die öffentliche Verwaltung?
Trotz allem gibt es immer noch Versorgungslücken z. B. im Lahntal, in Schröck und in Moischt.
Hier zahlen wir eine Struktur, deren eigentliche Arbeit inzwischen von der Telekom geleistet wird, deren Arbeit wir zusätzlich alimentieren. Wir alimentieren einen Quasi-Monopolisten, der in seiner Firmenpolitik gegen die Netzneutralität eintritt, die das Netz frei, attraktiv und nützlich macht und verhindert, dass große Medienkonzerne es kaufen können, um ihre Agenda umzusetzen und die Vielfalt einzuschränken.
Eine Breitbandgenossenschaft, das Netz in Nutzerhand – das ist die Infrastruktur, die wir aus Sicht der Piratenpartei brauchen und wollen. Was wir haben, ist wenig besser als nichts.
Man hat mir horrende Summen für einen Breitbandausbau in Eigenregie genannt. Hat man sich denn Alternativen zum Konventionellen angesehen? Einen sehr schnellen DSL-Anschluss pro Dorf, dann per Freifunk an alle Haushalte weiter verteilen? Nachbarn teilen sich Ressourcen? Funkstrecken für schlecht erschließbare Standorte? In Marburg Stadt wird ein derartiges Modell gerade parallel zum proprietären eingesetzt (Freifunk).
Wir sind digitales Entwicklungsland. Warum kostet Bandbreite in Finnland nur ein Zwanzigstel und ist in jeder Fischerhütte zu haben, während wir über Vectoring reden müssen? Warum ist e-Government in den baltischen Staaten eine Selbstverständlichkeit, während man sich hier in Stadtverwaltungen und Bürgerbüros die Beine in den Bauch steht?
Hier mal eine Pionierrolle einzunehmen, statt dem Feld hoffnungslos hinterherzuhecheln wäre eine feine Sache.
Fazit
Wir sehen hier keine Politik, keine Themen, keine Vison. Stattdessen Klein-Klein und Peanuts. Angebliche Skandale stellen sich am Ende als Papiertiger heraus.
Beispiel hierfür ist die Renovierung des Büros der Landrätin – die in der Presse kolportierte Summe wurde nicht für Möbel, sondern für eine komplette energetische Sanierung und Einrichtung (des gesamten Stockwerks?) ausgegeben, außerdem wurden die gebrauchten Möbel weiter verwendet. Damit relativiert sich der Skandal doch deutlich. Ähnlich sieht es bei der Einstellung des Fahrers aus, die allein aus Gründen von Arbeitsrecht und Arbeitssicherheit nötig war, oder die Anschaffung von Elektrofahrzeugen (war da nicht was mit Klimazielen, liebe Kollegen?)
Statt einer eigenen positiven Vision und konkreten Handlungsanweisungen wird versucht, die große Koalition zu beschädigen, indem man die Landrätin und die Kreisverwaltung angreift. Derartige Angriffspunkte lassen sich immer finden, wenn nicht, wirft man eben Untätigkeit vor.
So ins Negative gewendet mit dem einzigen Konsens „Sparen“ ist keine Politik zu machen. Sparen kann nie Selbstzweck sein, immer nur ein Sparen FÜR etwas. Eine neoliberale Selbstentmachtung der Politik werden wir nicht unterstützen.